AUTISMUS

Unter dem Begriff „Autismus“, „Autistische Störungen“ bzw. „Autismus-Spektrum-Störungen“ werden heutzutage eine Gruppe von Behinderungen verstanden, die durch eine hohe Selbstbezogenheit und qualitative Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion und Kommunikation gekennzeichnet sind. Hinzu kommen vielfältige Verhaltensauffälligkeiten, Sonderinteressen und veränderte Denk- sowie Wahrnehmungsstrukturen. Diese Symptome erschweren eine soziale Integration in die Familie, die verschiedenen Bezugssysteme und die Gesellschaft. Die intellektuellen Fähigkeiten bei autistischen Menschen sind sehr different. Das Spektrum reicht von geistiger Behinderung über Normalbegabung bis hin zur Hochbegabung bzw. speziellen Teilleistungskompetenzen.

Der Begriff „Autismus“ geht auf das griechische Wort „autos“ zurück
= „selbst, selbstbezogen“

Der Psychiater Eugen Bleuler (1916) benutzte den Begriff „Autismus“ zur Kennzeichnung eines zentralen Symptoms der Schizophrenie bei Erwachsenen = „sozialer Rückzug und Selbstbezogenheit“

Leo Kanner, amerikanischer Psychiater (1943) und Hans Asperger, Wiener Arzt (1944), stellten unabhängig voneinander zwei Syndrome bei Kindern vor, die sie als „Frühkindlicher Autismus“ bzw. „Autistische Psychopathie“ bezeichneten. Vorherrschende Symptome: Autistische Einsamkeit, Beziehungsstörungen, Sprachauffälligkeiten und Veränderungsängste.

Erst 1980 wurde die Autistische Störung mit der Publikation des DSM III als eigenständiges Störungsbild in das offizielle Klassifikationssystem aufgenommen. Zur Differenzierung von der Schizophrenie und der Geistigen Behinderung wurde als Klassifikationsname der Begriff „Tiefgreifende Entwicklungsstörung“ eingeführt.

In den Klassifikationssystemen ICD 10 (1992) und DSM IV (1994) wurden die verschiedenen Autistischen Störungsbilder unter dem Begriff „Tiefgreifende Entwicklungsstörungen“ zusammengefasst, die durch eine komplexe Beziehungs-, Kontakt und Kommunikationsstörung gekennzeichnet sind. Im Vordergrund stehen qualitative Beeinträchtigungen und Auffälligkeiten in

  • Sozialer Interaktion
  • Kommunikation, Entwicklung von Imagination und dem Vorherrschen von stereotypen, repetitiven Verhaltensweisen, Interessen, Ritualen und Veränderungsängsten

Der Begriff „Tiefgreifende Entwicklungsstörung“ impliziert, dass diese Störungsbilder

  • von Geburt an vorliegen und sich in der frühen Kindheit manifestieren
  • biologische (v.a. genetische) Ursachen haben
  • die Symptome in den verschiedenen Verhaltensbereichen Folge einer devianten und nicht nur verzögerten Entwicklung sind.

UNTERTEILUNG DER TIEFGREIFENDEN ENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN IN ICD 10 UND DSM IV

UNTERTEILUNG DER TIEFGREIFENDEN ENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN IN ICD 10 UND DSM IV

ICD 10DSM IV
Frühkindlicher Autismus F 84.0Autistic disorder 299.0
Atypischer Autismus F 84.1Pervasive developmental disorder not otherwise specified 299.80
Rett-Syndrom F 84.2Rett`s disorder 299.80
Andere desintegrative Störungen des Kindesalters F 84.3Childhood disintegrative disorder 299.10
Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Stereotypien F 84.4
Asperger-Syndrom F 84.5Asperger disorder 299.80
Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörungen F 84.8Pervasive developmental disorder not otherwise specified 299.80
Tiefgreifende Entwicklungsstörung, nicht näher bezeichnet F 84.9Pervasive developmental disorder not otherwise specified 299.80

Basierend auf der Annahme, dass sich die „Autistischen Störungsbilder“ im Schweregrad und in den klinischen Symptomen nur quantitativ und nicht in klar unterscheidbare Kategorien differenzieren lassen, werden in dem Klassifikationssystem DSM V (2013) die verschiedenen Autistischen Störungsbilder zu einer Kategorie „Autismus-Spektrum-Störungen“ zusammengefasst und als Störung sozialer Kommunikation mit repetitiven und restriktiven Verhaltensweisen definiert.
Die Symptom-Triade aus dem DSM IV wird im DSM V auf eine Symptom-Dyade reduziert

  • Überdauernde Defizite in der sozialen Kommunikation
  • Eingeschränktes, repetitives Muster von Verhalten, Interessen, Aktivitäten, plus Hyper- oder Hyposensibilität für sensorische Reize

Zudem erfolgt entsprechend dem „Dimensionalitätskonzept“ eine Schweregradeinteilung.

In der klinischen Praxis erweist sich die kategoriale Einteilung und Unterscheidung von

als effektiver, da sich die einzelnen Störungsbilder u.a. in ihrer Symptomausbildung, im Entwicklungsverlauf, in den komorbiden Störungen deutlich unterscheiden und die Therapieziele und Behandlungsmethoden auf diese Unterschiede abgestimmt werden müssen. In der Autismus-Ambulanz wird daher der kategoriale Ansatz präferiert.

Trotz umfangreicher Forschungen gibt es bisher noch kein schlüssiges Erklärungsmodell für die Entstehung der Autistischen Störungsbilder. Man geht davon aus, dass die Autistischen Störungsbilder auf einer genetisch bedingten Hirnfunktionsstörung beruhen. Insofern zeigen sich die Symptome bereits in der frühen Kindheit und persistieren im Jugend- und Erwachsenenalter.

Derzeit wird von einer Auftretenshäufigkeit von 6,5/1.000 ausgegangen. Jungen bzw. Männer sind von Autismus-Spektrum-Störungen drei- bis viermal häufiger betroffen als Mädchen bzw. Frauen. Die Krankheit tritt weltweit  in allen sozialen Schichten auf.

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